„Ich spür, sie haben mich nicht lieb“

Gewalt an Kindern passiert im Verborgenen

Von Hedwig Wölfl

Desiree ist ein Einzelkind, zwölf Jahre alt und viel allein. Sie kann sich an keinen Nachmittag mehr erinnern, wo außer ihr selbst jemand in der Wohnung war. Hausaufgaben macht sie mit Hilfe des Internets, das Essen in der Mikrowelle. Oft schläft sie schon, wenn ein Elternteil nach Hause kommt. Ein gemeinsames Essen gibt es fast nur am Wochenende. Sie hat ein schönes Zimmer, der Kühlschrank ist voll, das Wlan funktioniert immer. Mama findet ihre Schulfreundinnen zu laut und zu ordinär. Niemand kommt je zu ihr nach Hause. Annika, die einzige beste Freundin aus der Volksschule, ist vergangenes Jahr nach Deutschland gezogen. Desirees Eltern haben noch ein halbes Jahr später gefragt, warum sie nicht mehr jeden Freitag nachmittags nach der Schule zu Annika auf Besuch geht wie all die Jahre davor. Das war praktisch für Mama, weil da hatte sie einmal Zeit für sich selbst. Papa kommt sowieso immer erst spät am Abend. Bei der Preisverleihung vom Malwettbewerb, den sie gewonnen hatte, war nur Oma anwesend. Immerhin. 

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